Zirbeldrüse, Melatonin und SCN
Artikelserie: "Zeitgefühl, Zeitwahrnehmung und innere Uhren"
Auf der Suche nach den "inneren Uhren" im menschlichen Körper, rückte als Erstes die im Zwischenhirn gelegene Zirbeldrüse (Epiphyse) in den Mittelpunkt des Interesses der Forscher, von der man wusste, dass sie das Schlaf-Hormon Melatonin produziert.
Eine Melatonin-Zunahme, die sich in einem steigenden Hormon-Spiegel im Blut feststellen lässt, führt zu Müdigkeit und leitet den Schlaf-Zustand ein, während ein sinkender Hormon-Spiegel das Aufwachen verursacht und den Wach-Zustand aufrecht erhält.
Teil 1: Umwelt als äußere Uhr
Teil 2: Innere Uhren bei Pflanzen
Teil 3: Bunkerexperimente
Teil 4: Zirbeldrüse, Melatonin und SCN
In den 1970er Jahren entdeckte man eine Nervenverbindung zwischen bestimmten Lichtsinneszellen in den Augen und einem kleinen, nur etwa reiskorngroßen Bereich im Hypothalamus, der über der Kreuzung der Sehnerven liegt und der als "Suprachiasmatischer Nucleus" (SCN) bezeichnet wird. Der SCN erhält von den Augen Informationen über Hell und Dunkel und ist mit der Zirbeldrüse verbunden.
Nur bei Tageslicht leitet der SCN Signale an die Zirbeldrüse weiter, die daraufhin die Freisetzung des Schlaf-Hormons unterdrückt, sodass der Körper im Wach-Zustand bleibt. Bei Dunkelheit leitet der SCN keine Signale an die Zirbeldrüse weiter, die dann wieder mit der Freisetzung des Schlaf-Hormons fortfährt, was zur Müdigkeit führt.
Wie die Bunker-Experimente zeigten, benötigten die einzelnen inneren Uhren der unterschiedlichen circadianen Rhythmen (Schlaf-Wach-Rhythmus, Körpertemperatur, Blutdruck,...), die unter Versuchsbedingungen nicht mehr aufeinander abgestimmt waren, den Wechsel von Hell und Dunkel und zwar in einem stabilen Rhythmus von 24 Stunden, um wieder miteinander in Gleichklang gebracht zu werden. Mit dem SCN wurde ein Bereich im Gehirn gefunden, der diese Aufgabe mit Hilfe äußerer Reize erfüllte, in diesem Fall Licht, und als eine Art "Hauptuhr" oder "Master-Clock" die einzelnen inneren Uhren, die "Nebenuhren", täglich neu einstellt, wobei es sich bei den "Nebenuhren" um die eigentlichen Uhren handelt, denn diese sind es ja, die den circadianen Rhythmus erzeugen.
Es stellte sich nun aber die Frage, wenn der SCN nicht die eigentliche Uhr ist, sondern die anderen immer nur wieder vor- oder nachstellt und untereinander abgleicht, wo befinden sich dann die eigentlichen einzelnen inneren Uhren? Eine Antwort auf diese Frage ergab sich bereits aus Untersuchungen an einfachen einzelligen Algen, aber auch an isolierten Zellen von Pilzen, Insekten oder höher entwickelten Tieren, die in Zellkulturen tageszeitlich schwankende Aktivitätsmuster zeigten. Auch in den Zellen vieler Gewebearten des menschlichen Körpers wurden tageszeitlich schwankende Aktivitätsmuster festgestellt, beispielsweise in Zellen von Haut und Bindegewebe, im Herz, in der Lunge oder der Leber.
Die Erkenntnisse aus den Bunker-Experimenten, dass wir nicht nur eine "innere Uhr" haben, sondern sogar mehrere, konnten nun aufgrund der Feststellung, dass es tageszeitlich schwankende Aktivitätsmuster in Zellen gibt, noch einmal erweitert werden. Demnach haben wir nicht nur mehrere, sondern gleich Millionen (zelluläre) "innere Uhren", die aber immer noch nicht das Entstehen des subjektiven Zeitgefühls erklären konnten!
Fortsetzung folgt